Fahren will gelernt sein

Ich dachte immer, ich sei eine gute Autofahrerin. Abgesehen von den kleinen Parkschrammen, habe ich keine großen und schwerwiegenden Unfälle gehabt (Die Parkgarage zählt nicht!). Der Umzug nach Vietnam war dann doch ein sehr großer Schock als ich sah, dass ich mit meinem Plastikführerschein nicht weit kam. Nicht nur, dass er hier ungültig ist, nein, ich würde für kein Geld der Welt hier in Saigon fahren. Dachte ich zumindest einen Monat lang.
 
 
Autofahren in Vietnam

Wer in Vietnam ein Auto fährt, hat 1. sehr viel Geld, denn es kommt fast 100% Importsteuer auf das Auto und 2. viel Geduld, denn man bewege sich mit sage und schreibe maximal 15 km/h durch die Innenstadt. An die vielen SUVs und Luxuswagen (Lexus, Mercedes, Porsche oh und mein Liebling ein gelber Lamborghini) muss ich mich erst mal gewöhnen, denn wer erwartet Wagen im fünfstelligen Bereich in einem armen Land wie Vietnam?

Roller und Motorradfahren in Vietnam

Zweiräder dominieren das Straßenbild Vietnam, vor allem in den Großstädten HCMC und Hanoi. Überall wo man hinsieht Roller, Roller und Roller. Auf den Straßen, auf dem Gehweg, in den Wohnzimmern. Es gibt Parkplätze nur für Zweiräder …. Die Suche nach seinem Roller wird dann schon zur Schatzsuche und glaub mir, ich habe schon oft stundenlang nach meinem Roller gesucht, weil der liebe Herr Parkwächter ihn einfach mal umgeparkt hat. Immer auf die kleinen Mio Classicos … Meinen Sportroller Yamaha Nuovo haben Sie dann nicht mehr umgeparkt, weil er einfach zu schwer war (Den bekam ich die letzten 2 Wochen von meinem Onkel, weil er der Meinung war, dass ich genug „Vietnamesin“ war, um zu fahren 🙂 )

Saigon Traffic
Wo hab ich nochmal geparkt? Ich glaube da hinten auf 11 Uhr.

Fahren in Saigon will gelernt sein, denn dies ist nichts für schwache Nerven.

 

Einige meiner meist überwiegend männlichen Freunde fahren hier nicht. Einer begründet es damit, dass er es nicht mag langsam zu fahren. Er lebe auf der Überholspur. Ich hingegen behaupte er hat einfach nur total Schiss. Ein anderer würde gerne fahren, aber glaub mir, ich habe Angst, dass er hier als Anfänger fährt, weil er noch nie vorher Roller gefahren ist.

Wir besitzen seit letztem Sommer 2 Roller, einen Peugeot und eine Vespa LX50. Meine Schwester, die gute Seele, hatte einfach mal Lust ne Vespa zu kaufen und seitedem cruisen wir zu Zweit durch die Gegend. 

Fahren kann ich also, aber den Mut und den Willen zu haben hier – in Saigon – zu fahren ist reiner Irrsinn. Es gleicht einem Selbstmordkommando, denn

  1. die deutschen Verkehrsregeln gelten hier nicht (Goldene Regel: Vergiss die Regeln!)
  2. Millionen von Zweirädern reihen sich vor, hinter, und neben dich (bloss keine Berührungsangst!)
  3. Rollerfahrer fahren wie sie wollen. Bei Rot rechts abbiegen, auf dem Bürgersteig und gerne mal auch gegen den Verkehr (Hallo Geisterfahrer)
  4. die Mehrheit der Fahrer hat noch nie eine Fahrschule besucht und daher auch keinen Führerschein

Wenn du dies im Kopf hast und um die Gefahren weisst (und sicherhaltshalber deine Auslandskrankenversicherung angerufen hast um zu fragen, wie es denn mit der Versicherung ist, wenn man OHNE Lizenz fährt* Danke Mondial *), bist du bereit für die Straßen Saigons.

Den ersten Monat bin ich ohne selbst zu fahren klargekommen. Familienkutsche, Mopedtaxis und Vinasun Taxis haben mich überall hingebracht. Jedoch war ich es langsam leid,  auf andere zu warten. „Nun denn“, dachte ich mir und mietete mir einen total süßen, weißen Yamaha Mio Classico 110c und bin mit 90 Sachen abends am Saigon River entlang gecruist. Mein Roller stand dann eine Zeit lang in der Garage, weil ich mich nicht überwinden konnte am Tag zu fahren. 

Nach ein paar Wochen und 2 gescheiterten Versuchen konnte mich mein amerikanischer Nachbar Charlie (von Chuck’s Burger) überzeugen zu fahren. „Was kann schon groß passieren, Mai?“ , sagte Charlie. „Wozu bezahlst du so viel Geld und fährst nicht?“ (Ich könnte abstürzen, mir was brechen oder einfach nur gegen jemanden krachen)

Zum selben Zeitpunkt wurde meine Oma krank und verbrachte eine Woche im Krankenhaus. Keiner hatte Zeit mich von der Arbeit abzuholen und hinzubringen.

„Selbst ist die Frau“, dachte ich und setzte mich auf meinen Roller und startete den Motor. „Es ist an der Zeit zu zeigen, was du kannst Mai! Oma wartet auf dich, sei kein Angsthase!!!“ Eigentlich wollte ich erst zu meiner Familie nach Thi Nghe fahren, aber entschied mich direkt zu Oma ins Gia Dinh Krankenhaus zu fahren. Nicht, dass ich nur einmal die Strecke mit meinem Onkel gefahren bin, nachts, voller Sorge um Oma, an Silvester. Gottseidank bin ich mit einem guten Gedächtnis gesegnet und kann mir sehr gut Strecken merken. Falls ich verloren gehe (und das kam schon sehr oft vor), frage ich einfach nach dem Weg 🙂

Nach gefühlter Ewigkeit erreichte ich das KH. Meine erste Hürde war das Parken meines Rollers. Wo waren meine starken Anh oder Chu oi, die meinen Roller parkten? Woooo?   Nachdem ich ca. 15 Min gebraucht habe um meinen Roller  in die Mini-Lücke zu quetschen (ich musste die 91 kg Gewicht anheben und zur Seite schieben, den Nachbarroller zur Seite drücken und dann meinen Roller rein quetschen. Herr Parkwächter hat einfach nur zugeguckt, blöder Onkel), rannte ich die 2 Stockwerke hoch um Oma zu besuchen.

Diese erlitt dann erst mal einen Schock als sie hörte, dass ihre „liebe und ängstliche“ Enkelin  aus Europa einfach mal 5 km durch Saigon fuhr. Nachts, alleine, im schlimmsten Verkehr überhaupt.

„Die hat einen Knall, die Mai. Die hat das Abenteuersyndrom Ihrer Mama“ – dachte sie sicherlich. Wie wahr, ich bin wohl etwas durchgeknallt.

Nachdem sie das erst mal geschluckt hatte, schüttelte sie nur den Kopf und meinte „Jaja, so ist die Mai eben. Immer für eine Überraschung gut. Lass das bloss nicht deine Mutter wissen. Sie wird mir den Kopf abreissen!“

Seit diesem Abend, dem 31. Dezember 2013, fahre ich in Saigon und  ich liebe es. Ich weiss, dass es gefährlich ist und dass es mein Leben kosten könnte, aber ganz ehrlich, wenn ich sehe wie 70-Jährige Omas auf ihren Hondas fahren, kann ich nicht still sitzen und warten, dass Prince Charming mich auf seiner Vespa abholt. 

Das größte Problem für mich ist das Parken. Ich war nie gut im Parken.

Wie ist es jedoch mit Millionen von Rollern und wenig Platz? Wie kriegst du deinen Roller aus einer Minilücke, wenn um dich herum Roller stehen? Wie kriegst du deinen Roller aus dem Wohnzimmer?

Tja Fragen, die wohl nur in Asien vorkommen.

Fangen wir mit meinem Alltag an.

Ich parke meinen Roller im Wohnzimmer/Garage meiner Oma.

Morgens gegen 7.45 Uhr schiebe ich meinen Roller rückwärts über eine kleine Planke raus. Zuerst muss ich ihn jedoch gerade lenken, dann den Roller anheben, weil das Tor etwas seitlich liegt um gerade raus zurollen. Wer braucht schon Mc Fit, wenn er oder sie Roller anheben darf, Tag für Tag. Dann fahre ich durch die kleinen, verwinkelten Straßen meiner Nachbarschaft, um dann wie ein Blitz auf die doppelspurige Straße Nguyen Thi Minh Khai zu schießen (Die Nachbarn schütteln  immer noch Ihren Kopf, wenn Sie mich fahren sehen. Achtung Mai komm! Nehmt euch in Acht!Die einzige Regel, die mir viele mit  auf dem Weg gaben, lautet:

„Denk immer zuerst an dich Mai und habe keine Angst!“

Unsere Wachhunde und der Roller

Fahren für Anfänger

  • Wenn ich fahre, dann achte ich nur auf die 45 Grad vor und neben mir. Alles was hinter mir passiert wird ignoriert. Wie ein Schwarm Fische, folge ich dem Strom und achte auf die Bewegungen der Personen vor mir. 
  • Möchte ich jemanden überholen, so blinke ich (meistens) und hupe laut um auf mich aufmerksam zu machen. Es ist ein freundliches „Hey du, ich überhol jetzt mal, also lass mich bitte vorbei“, manchmal ist es aber auch ein „Du Idiot, fahr mal anständig!“. Nichtsdestotrotz ist das Hupen in Vietnam kein Zeichen von Wut oder Ärger wie in Deutschland. 
  • Zweiräder dürfen nur die mittlere  und rechte Spur benutzen. Die linke Fahrspur ist für Autos, Busse und LKWs reserviert. 
  • Das heisst, dass Linksabbiegen nur für die ganz Mutigen ist, denn man muss 2 Spuren kreuzen, sich hinter, vor oder neben Autos/Busse stellen und hoffen, dass man nicht vom Gegenverkehr überrollt wird. Ich hasse Linksabbiegen und vermeide es so oft wie möglich. Vor allem an grossen Kreuzungen nehmen Autos keine Rücksicht auf dich. Wenn es jedoch nicht verhindert werden kann, schließe ich mich einer Gruppe Linksabbieger an und bewege mich wie ein Schwarm Fische nach links. Wir wollen gar nicht von dem Kreisel sprechen … Ich erinnere mich noch zu gut an diesen Moment und mein Mitfahrer wahrscheinlich auch …
  • Wenn der Tank fast leer ist, fahre zur nächsten Tankstelle, drängle dich schön vor, schalte den Motor ab, steige ab und mache den Tank auf und gebe dem Herrn oder der Dame einen 50.000 Dong Schein. Dies sollte für eine Woche locker reichen.
  • In Vietnam gilt seit 2007 Helmpflicht. Eine gute Sache, wenn die Helme hier nicht Schrott wären und die Bevölkerung sie nicht nur tragen würde, um der Geldstrafe zu entgehen. Wie oft sehe ich Babies und Kinder OHNE Helm fahren, weil die Pflicht erst ab 6 Jahren aufwärts gilt. Macht das Sinn???
  • Der internationale Führerschein gilt hier nicht.  Das Umwandeln eines deutschen Führerscheins erfordert viel Geduld und einen Praxistest. Alles schon getan, aber kläglich durch den Test gefallen, da ich einfach nicht manuell schalten kann. Wer zum Geier kam auf die Idee über Baumstämme, eine 8 und Zickzack zu fahren? 
  • Erwischt, ich fahre ohne gültigen Führerschein, wie ca 90% der Bevölkerung. Werde ich einmal von der hiesigen Verkehrspolizei (die „netten“ Männer in Beige) angehalten werde, habe ich 2 wasserdichte Methoden entwickelt:
  1. die dumme Deutsche: Ich rede nur auf Deutsch, solange bis der Polizist keine Lust mehr hat und mich weiterfahren lässt. Viele Polizisten können mittlerweile English, daher würde ich mit Englisch eine „Strafe“ zahlen müssen (auch anwendbar mit Spanisch, Chinesisch und mein Klassiker Saarländisch )
  2. die normale Vietnamesin: Merkt der Polizist, dass ich Vietnamesin bin (zu 90% nein, da ich schon oft für eine Thai & Chin gehalten wurde) so muss ich eine Art Bußgeld zahlen, das dann in die Taschen der Polizisten wandert. Das „Kaffegeld“ sollte maximal auf 200.000 vnd beschränkt sein, jedoch müssen Expats/Touristen meist einen höheren Preis zahlen:(

Zu zweit fahren

Es kommt mal vor, dass man eine weitere Person auf seinem Roller mitnehmen muss. Sei es die  Cousine, Tante, Mutter oder auch Freund. Manchmal auch ein 20 kg Koffer, alles schon getan.

Die erste Person, die sich getraut hat mit mir zu fahren, ist meine jüngere Cousine. Sie musste auf einen Geburtstag und wollte ursprünglich Bus fahren. Aus Spass meinte ich, dass ich sie fahren würde und sie nahm das Angebot auch an. Total Perplex  dachte ich: „So ein Dreck aber auch!“, holte den Roller aus dem Haus und betete zu Gott den heutigen Tag zu überleben. In Deutschland habe ich schon einmal meine Schwester gefahren, aber dort sind die Strassen breiter und meine Schwester wiegt ja kaum was. Hier sind die Straßen voller Roller, es ist eng wie die Wutz und heiss. Meine Mutter, die im Januar zu Besuch war, wollte dann auch gleich mal mit mir fahren. „Warte, hast du mir es nicht verboten?!“, fragte ich Sie. „Egal Mai ich bin deine Mutter und erlaube es dir heute. Sag das aber nicht dem Papa!“

Sogleich sprang sie auf den Roller und wir fuhren durch ganz Saigon, um meine andere Oma in Tan Binh zu besuchen. Als wir an ihr vorbeifuhren, fiel sie vor Schreck beinahe zu Boden. Ihre Enkelin und Schwiegertochter, auf einem Roller, in Vietnam??? Wenn das der Papa wüsste! 

Nun gut, Frauen kann ich fahren, die wiegen ja nichts. Wie ist es denn mit Männern? Gesagt, getan. Ich holte meinen kanadischen Kollegen ab um zu einem Event (Food Tasting im Apocalypse Now) zu fahren. 70 kg auf einem kleinem Roller. Ob das gut geht? Es ging gut aus und seitdem fahre ich einfach alles auf meinem Roller: Frauen, Männer, sogar „Wildschweine“ (Insider:!) und es macht mir nichts mehr aus.

  Fahren in Vietnam will eben gelernt sein

 

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